Dieses schmale Buch enthält 4 Erzählungen aus Kafkas Spätwerk.
In „Erstes Leid“ verbringt ein Trapezkünstler Tag und Nacht auf dem Trapez und steigt niemals zu den übrigen Menschen herab. Stets muss ein Gehilfe unter dem Trapez stehen, um etwaige Wünsche des Künstlers erfüllen zu können. So vergehen die Tage und Jahre. Doch plötzlich wünscht er sich, sich in Zukunft auf zwei Trapezen aufhalten zu können. Dieser Wunsch wird ihm erfüllt, doch trotzdem fängt er bitterlich zu weinen an.
„Eine kleine Frau“ leidet körperlich und seelisch an den Macken und der ganzen Persönlichkeit des Ich-Erzählers. Immer hat sie etwas an ihm auszusetzen und ihr ganzes Verhalten ist eine stumme Anklage gegen die bloße Existenz des Erzählers. Niemals kann er es ihr rechtmachen und sie lässt sich überhaupt nicht beruhigen. Fortwährend nörgelt sie am Ich-Erzähler rum und straft ihn mit bösen Blicken. Doch was soll er tun? Er kann das Verhalten der Frau nur ertragen und auf Besserung hoffen.
„Der Hungerkünstler“ sitzt in seinem Käfig und wird von den Zuschauern bestaunt, die seine Kunst und seinen ausgemergelten Körper betrachten. Er nimmt keine Nahrung zu sich und nippt nur ab und zu am bereitgestellten Wasser. Irgendwann ist man seiner Kunst überdrüssig und die Zuschauer bleiben aus. Er heuert bei einem großen Zirkus an, wo er einen Käfig in der Nähe der Raubtierkäfige bekommt. Er ist keine große Attraktion mehr, sondern nur noch eine Nebenperson. Anfangs werden noch die täglichen Besucher gezählt und genauestens dokumentiert. Doch mit der Zeit lässt auch das nach. Er gerät zusehends in Vergessenheit, kraftlos und ausgehungert vegetiert er in seinem Käfig. Doch dann entdeckt ihn ein Mitarbeiter und stellt die alles entscheidende Frage: „Warum hungerst Du eigentlich?“
„Josefine, die Sängerin“ pfeift eintönig vor sich hin. Dieses Pfeifen wird von vielen Menschen für Gesang gehalten, sodass sie immer mehr Anhänger bekommt. Die Eintönigkeit ihrer Kunst wirkt auf viele Zuschauer anziehend. Das Publikum und die Sängerin leben in Koexistenz und passen gegenseitig auf sich auf. Die Sängerin ist mittlerweile der Meinung, sämtliche Probleme und Krisen einfach wegsingen zu können. Sie fordert von der Gesellschaft freie Kost und Logis, um weiterhin auf die Bühne zu gehen, doch dieser Wunsch wird ihr nicht erfüllt. Sie wird immer schwieriger und kränklicher und muss vom Publikum regelrecht auf die Bühne gebettelt werden. Doch ihr Pfeifen verstummt vorerst nicht. Nach einiger Zeit bleibt die Bühne dann doch leer und es herrscht nur noch Stille.
Warum sind Menschen künstlerisch tätig und welche Art von Kunst hat beim Publikum erfolgt? Diesen Fragen möchte Kafka in den vorliegenden 4 Erzählungen auf den Grund gehen. Für den Hungerkünstler ist es normal zu hungern. Trotzdem wird er vom Publikum dafür anfangs bewundert, diese Zuneigung ist jedoch vergänglich und im wahrsten Sinne des Wortes brotlos. Der Hungerkünstler ist eine der wenigen Erzählungen, die laut Kafka veröffentlicht werden sollten. Es liest sich wie eine Bilanz seines schriftstellerischen Schaffens. Weitgehend unbeachtet schrieb Kafka seine Werke. Die Leidenschaft zum Schreiben war Selbstzweck, wie beim Hungerkünstler, der selbst dann weiterhungert, als niemand mehr seine Tätigkeit bewundert. Auch Kafka schrieb tapfer weiter, obwohl er zu Lebzeiten keinen Erfolg hatte.